Tragödie in Gaza Ärztin verliert neun ihrer zehn Kinder – doch sie arbeitet weiter

Eine palästinensische Ärztin verliert bei einem israelischen Luftangriff neun ihrer zehn Kinder. Trotz ihrer persönlichen Trauer setzt die Ärztin ihre Arbeit fort.
Seit dem Angriff Israels auf den Gazastreifen – die Reaktion auf das Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 – verloren laut Unicef mehr als 16.500 palästinensische Kinder ihr Leben. So auch an diesem Wochenende, als das israelische Militär eine ehemalige Schule, die als Schutzraum gedacht war, angriff, und 33 Menschen ums Leben kamen, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Ein weiterer Fall, der international Aufsehen erregte, ist der der Kinderärztin Alaa al-Najjar, die bei einem israelischen Luftangriff am Samstag neun ihrer zehn Kinder verlor.
Ihr Mann Hamid al-Najjar, der wie sie als Arzt im Nasser-Krankenhaus in Khan Yunis arbeitet, hatte seine Frau zur Arbeit gefahren und war gerade wieder zu Hause angekommen, als ihr Haus von einem israelischen Luftangriff getroffen wurde. Neun der zehn Kinder konnten nur noch als Leichen geborgen werden, so schwer verbrannt, dass sie zuerst nicht identifiziert werden konnten. Hamid al-Najjar und der elfjährige Sohn wurden schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.
"Mischung aus mütterlicher Fürsorge und Professionalität"
Graham Groome, ein britischer Arzt, der den Elfjährigen operierte, erklärte in einem Video auf Instagram, er gehe davon aus, dass das Kind überleben werde, doch bei seinem Vater sei dies noch ungewiss. Er bezeichnete es als "unvorstellbare" Situation für die Mutter, die mit einem Raketenangriff fast alle ihre Kinder verloren habe und jetzt auch noch ihren Mann verlieren könnte.
Ahmad al-Fara, der Leiter der Kinderstation des Nasser-Krankenhauses, sagte im Gespräch mit CNN, dass Alaa al-Najjar trotz des Verlustes unbeirrt weiterarbeitet und sich um ihre Patienten kümmert, mit "einer Mischung aus mütterlicher Fürsorge und Professionalität." Nur gelegentlich würde sie nach ihrem Mann und ihrem Sohn sehen. Ein anderer Kollege, Yousef Abu al-Rish, der gleichzeitig auch stellvertretender Gesundheitsminister des Gazastreifens ist, sagte, er hätte sie außerhalb eines Operationssaals angetroffen, wo sie ruhig und gefasst auf Nachrichten zu ihrem einzig überlebenden Kind wartete.
"Wir sind erschöpft von der Vertreibung und dem Hunger, es reicht!"
Im Gespräch mit der israelischen Zeitung "Haaretz" beschrieb al-Rish seine Gefühle nach dem Treffen mit Alaa al-Najjar so: "Ich glaube in dem Moment verstand ich zum ersten Mal die Bedeutung der 'schönen Geduld' [ein islamisches Konzept des unerschütterlichen Vertrauens in Gott, Anm. d. Red.] – und im Weggehen fragte ich mich: 'Wer ist sie, und wie kann man solchen Schmerz ertragen?'"
Ein naher Angehöriger von Alaa al-Najjar macht im Gespräch mit der AFP seinem Ärger und seiner Frustration Luft: "Genug! Habt Erbarmen mit uns! Wir appellieren an alle Länder, die internationale Gemeinschaft, das Volk, die Hamas und alle Fraktionen, sich unserer zu erbarmen. Wir sind erschöpft von der Vertreibung und dem Hunger, es reicht!"
Druck auf Israel wächst
Tatsächlich hätte die Ärztin, die auch die ägyptische Staatsbürgerschaft hat, mit ihrer Familie fliehen können. Doch sowohl ihr Mann als auch sie sahen sich als Mediziner verpflichtet, den Menschen in Gaza zu helfen und zu versuchen, das Leid der Verwundeten so gut es geht zu lindern.
Die israelische Armee erklärte, der Luftangriff hätte eine Reihe von Verdächtigen getroffen, die sich in einem Gebäude in der Nähe von israelischen Soldaten verschanzt hätten. Der britische Arzt Groome erklärte, er habe Erkundigungen eingeholt: Hamid al-Najjar habe "keine politischen und militärischen Verbindungen" und scheine auch "nicht in den sozialen Medien präsent" zu sein. Die israelische Regierung erklärte, sie werde untersuchen, ob bei dem Angriff Zivilisten zu Schaden gekommen sind.
International wird der Druck auf die israelische Regierung wegen ihres Vorgehens in Gaza immer größer. Auch Friedrich Merz erklärte am Montag, er verstehe "offen gestanden nicht mehr, mit welchem Ziel" die israelische Armee im Gazastreifen vorgehe: "Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen."
- haaretz.com: "Colleagues Say Gaza Doctor Who Lost Nine Children in Israeli Strike Has Kept Working" (Englisch, kostenpflichtig)
- bbc.com: "The Gaza doctor who kept working after losing his children" (Englisch)